Demokratisierung

Sind Wohnungsgenossenschaften wirklich demokratisch? 

Es gehört zur genossenschaftlichen Idee, dass alle Mitglieder – ganz egal, wieviel Anteile sie halten – gleichberechtigt an grundlegenden Entscheidungen beteiligt werden. Nur, wie sieht das konkret aus? Alle Genossenschaften verfügen über einen geschäftsführenden Vorstand[1], einen gewählten Aufsichtsrat und eine Mitglieder- bzw. Vertreter*innenversammlung[2]. Letztere kommt in der Regel einmal im Jahr zusammen, um ggf. einen neuen Aufsichtsrat zu wählen und den Geschäftsbericht des vergangenen Jahres abzusegnen. Das war’s. Selten kommt es dazu, dass kritisch hinterfragt, Verbesserungen eingefordert oder Entscheidungen infrage gestellt werden. Denn Aufsichtsrat und Vorstand sind sich oft einig. Mitglieder oder auch ihre Vertreter*innen fühlen sich hingegen angesichts der Komplexität der Materie überfordert. Sie vertrauen den Gremien, „schließlich sind wir eine Genossenschaft, es wird schon alles gut sein“. Ist es aber nicht, wie wir heute immer mehr sehen.

Das genossenschaftliche Förderprinzip, nach dem alle Mitglieder mit gutem und günstigem Wohnraum zu versorgen sind, wird unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung aller Mitglieder ausgehöhlt (s. Text zur Mitgliederstruktur). Auch wird marktwirtschaftlichen statt genossenschaftlichem Denken der Vorrang gegeben, was sich an der unhinterfragten Orientierung der Nutzungsentgelte am Mietspiegel zeigt (s. Text zur Nutzungsgebühren). Und nicht zuletzt ist wirkliche Mitwirkung in der Regel auch deshalb nicht möglich, weil es an Transparenz mangelt. Das zeigt sich schon daran, dass auf den wenigsten Internetseiten der Wohnungsgenossenschaften die aktuellen Vertreter*innen mit Kontaktdaten benannt sind bzw. nur erfragt werden kann. Selbst für Vertreter*innen ist es oft schwierig, sich mit ihren Mitstreiter*innen in Verbindung zu setzen oder ein Mitgliederverzeichnis zu erhalten. Nur ungern werden entsprechenden Daten weitergegeben. Wie aber sollen die Vertreter*innen so ihre Arbeit sinnvoll gestalten?

Auch müssten sie vielmehr Zugang zu Daten vor den Versammlungen erhalten: etwa über tatsächliche Kosten, über die Höhe der Nutzungsentgelte oder über Modernisierungsplanungen aufgrund welcher Gründe. Ohne solche Kenntnisse ist echte Mitwirkung nicht möglich.

Gleichzeitig sind nicht wenige Mitglieder an diesen nicht interessiert. In großen Wohnungsgenossenschaften verstehen sich viele lediglich als „Mieter*innen“ günstiger Wohnungen. Die Mitglieder- bzw. Vertreter*innenversammlungen sind entsprechend schlecht besucht. In seltenen Fällen verändert sich das, wenn von Vorständen etwas in das Leben der Mitglieder sehr Einschneidendes beschlossen wird wie etwa der Abriss eines Gebäudes[3] oder Modernisierungen, die die Nutzungsentgelte erheblich erhöhen. Bislang war der Erfolg bescheiden und ein Engagement seitens der Mitgliederschaft selten. Dabei steht viel auf dem Spiel in Zeiten der Wohnungsnot: Großstädtische Wohnungsgenossenschaften stellen immerhin eine Möglichkeit dar, jenseits von Marktinteressen für bezahlbaren Wohnraum und damit für eine der Grundbedingungen von gutem individuellen wie auch gesellschaftlichen Leben zu sorgen!

Drum:

  1. Mitglieder, engagiert und informiert Euch, bevor es zu spät ist. Nehmt an den Mitgliederversammlungen bzw. den Wahlen Euer Vertreter und Vertreterinnen teil! Stellt Fragen, verbündet Euch und steht für Eure Interessen ein!
  2. Vorstände und Aufsichtsräte, sorgt für Transparenz in allen Fragen, die die Mitglieder Eurer Genossenschaft interessieren oder interessieren sollten!
  3. Und trefft größere Entscheidungen erst dann, wenn Ihr alle dazu nötigen Informationen mit genügend Vorlauf der Mitgliedschaft zur Diskussion gestellt habt! Und bitte tut das in Formaten, die echte Mitwirkung möglich machen! Mitglieder- bzw. Vertreter*innen-Versammlungen reichen nicht.

[1] Laut Genossenschaftsgesetz obliegt den Vorständen zwar alleine die Geschäftsführung einer Genossenschaft, gleichzeitig sind sie verpflichtet „auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Genossenschaft zu handeln.“ (GenG § 34 Absatz 1). Das zu überprüfen ist Aufgabe des Aufsichtsrats, der von der Mitglieder- bzw. Vertreter*innenversammlung[1] gewählt wird.

[2] In Genossenschaften mit mehr als 1500 Mitgliedern können anstelle von Mitglieder- Vertreter*innenversammlungen abgehalten werden. Diese werden alle fünf Jahre als Mitgliedervertreter*innen in die Versammlung der Vertreter und Vertreterinnen gewählt.

[3] Das der vhw gehörende Backsteinensemble „Elisa“  (Hamm) wurde 2015 zugunsten von Neubau abgerissen. Immerhin konnten Mitglieder nach jahrelangem Protest erreichen, dass der geplante Neubau auf dem ersten Förderweg und nicht – wie ursprünglich geplant – frei finanziert vonstatten ging.